Laufen

Kolumne: So läuft es: Die Kunst des achtsamen Laufens

Für unserem Kolumnisten ist die Frage beim Laufen nicht: Was leiste ich beim Laufen? Sondern: Was leistet das Laufen für mich?

Von Mike Kleiß

17.03.2016, 16:59 Uhr

Gestern erreichte mich die Nachricht einer ehemaligen Radiokollegin. Sie steht mittlerweile vor der Fernsehkamera. Und hat drei Kinder zur Welt gebracht. Wer beim Fernsehen arbeitet, hat oft einen besonderen Blick auf die eigene Figur. Meine ehemalige Kollegin liest auf meinem privaten Facebook-Account mit, sie liest die Kolumne. Und obwohl sie das Laufen nie mochte, hat sie sich motivieren lassen.

Ein kleines Laufwunder ist da passiert. Es ist der fünfte Tag, an dem sie läuft. Und – auch ich bekam das oft zu hören – sie erfährt die volle Wucht der Laufexperten. Sie schrieb mir: „Deine Läufer-Geschichte (n) haben mich inspiriert und ich war auch heute wieder laufen. Ich bin sehr langsam und jogge 25 – 30 Minuten und bin dann zwar fertig, aber wirklich glücklich. Ich würde gerne auch morgen wieder laufen, von links und rechts bekomme ich jetzt aber gesagt: Pause machen, ausruhen, weil Zerrung. Was hältst Du davon?“ Meine Antwort lautete: „Hör nicht auf die Leute. Hör auf Deinen Körper. Und wenn Du laufen willst, lauf“.

Ein grob fahrlässiger Rat an die Kollegin? Nein. Wenn man die neue Haltung beim Laufen unterschreibt. Die gibt es. Und sie setzt sich als eine Art Trend immer mehr durch. Die zentrale Frage ist nicht mehr: Was oder wie viel leiste ich beim Laufen? Sondern es geht darum: Was leistet das Laufen für mich? Was macht es mit mir? Was kann es für mich tun? Es ist die Philosophie des Gentle Running, des achtsamen Laufens.

Nicht die Zeit spielt eine Rolle. Jetzt geht es darum, dass der Läufer losläuft und darauf achtet, was in seinem Inneren passiert. Er hört auf seinen Atem, er spürt jede einzelne Bewegung, nimmt die Natur bewusst wahr, was gerade im Frühling besonders intensiv sein kann. So erreicht selbst der Laufanfänger eine Art meditative Ebene und kann den Alltag vergessen.

Der Läufer entscheidet spontan, wie lange er läuft. Und wie oft. Und wie intensiv. Vor allen Dingen aber hört man in den Körper hinein und nicht auf das, was einem das Umfeld rät. Freunde, Familie, Bekannte haben sicher Sorge. Oft jedoch ist es für gerade sie schwer einzuschätzen, ob nicht einfach ein liebgewonnener Mensch auf und davonläuft. Wer sich plötzlich bewegt, macht anderen oft Angst. Gerade denen, die stehenbleiben. Und gerade dann ist es wichtig, sich nicht aus schlechtem Gewissen stoppen zu lassen.

Das mag esoterisch klingen. Ist es jedoch nicht. Das Gentle Running deckt sich mit vielen klugen Stimmen aus der Sportmedizin. Dr. Paul Klein von der Orthopädie der Mediapark Klinik in Köln und Vereinsarzt des 1.FC Köln sagt dazu: „Der Sportler kann sich in der Tat gut vor Verletzungen schützen und vor Überbelastung. Wenn er wieder lernt, auf den eigenen Körper zu hören, Signale zu deuten. Und mit etwas Übung kann das jeder.“ Hart zu sich selbst zu sein, macht nie wirklich Sinn. Und beim Laufen schon gar nicht. Heute erreichte mich wieder eine Nachricht der Ex-Kollegin: „Ich war heute wieder. Und ich fühle mich glücklich.“ So läuft es.

Kolumne: So LÄUFT ES: Ich bin dann mal da

Keine Besserwisserei, keine Marathonpläne, keine Ernährungstipps. Dafür Texte über Laufwunder, die jeden Tag passieren. Unsere neue Laufkolumne, ab sofort jeden Donnerstag.

Von Mike Kleiß

03.03.2016, 08:16 Uhr

Ungefähr 19 Millionen Deutsche laufen regelmäßig – in Parks, auf Sportplätzen, im Wald, durch die Stadt. Seit vier Jahren gehört auch Mike Kleiß zu ihnen. Vorher wog er fast 50 Kilo mehr als heute. Seit drei Jahren schreibt er über das Laufen. Von dieser Woche an im Tagesspiegel.

Es fühlt sich ein bisschen so an wie damals, als meine Eltern umziehen mussten. Ich kam in der neuen Stadt in eine neue Schulklasse. Und stellte mich erst einmal allen anderen Schülern vor. So ist es heute wieder. Nur liegen ungefähr 35 Jahre dazwischen. Der Unterschied ist: Dieses Mal freue ich mich darüber, dass wir uns kennenlernen. Und zwar sehr, lieber Tagesspiegel. Gestatten, Mike Kleiß, Laufkolumnist.

Ich laufe jeden Tag. Zwischen 18 und 20 Kilometer. Ich lebe in Köln – und liebe Berlin. Berlin und ich, wir hatten lange Zeit eine komplizierte Beziehung. Mir war es lange zu laut, zu groß, und ich fühlte mich oft lost. Seit ich laufe, habe ich mir die Stadt erlaufen. Ich bin oft beruflich in Berlin, und immer suche ich mir neue Laufstrecken, meist mitten durch die Stadt. Ich laufe mit Freunden und Kollegen, die mir ihr Berlin beim Joggen zeigen. Sie erzählen mir dann, was sie mit Berlin verbindet. Und sie erzählen mir, was es Neues gibt und was sie beschäftigt. Das Laufen verbindet. Menschen und Städte. Das ist ein Grund, warum ich diesen Sport so liebe. Und darüber schreibe.

Deutschland braucht nicht noch einen Experten mehr

Deutschland ist ein Land der Experten. Als ich begann über das Laufen zu schreiben, war mir klar: Deutschland braucht nicht noch einen Experten mehr. Schon gar keinen, der beim Thema Laufen alles besser weiß. Auch davon gibt es genug. Sie werden in dieser Kolumne keine Marathonpläne finden. Sie werden nicht darüber belehrt, wie Sie sich ernähren müssen. Und Sie werden nie lesen, welche Laufschuhe die besten sind. Sie werden von Laufwundern erfahren, die jeden Tag passieren, wenn man läuft. Sie werden von Begegnungen lesen, die rührend, bewegend, spaßig und nachdenklich sind. Begegnungen, wie sie nur beim Laufen passieren.

Sie werden mehr über die Magie des Laufens von einem Läufer erfahren. Nicht von einem Experten. Und wenn dadurch auch nur einer von Ihnen anfängt zu laufen, um sich etwas Gutes zu tun, oder wieder Motivation bekommt um erneut einen Anfang zu machen, dann ist das Ziel dieser Kolumne erreicht. Und wenn ich durch Berlin laufe, freue ich mich über jeden, der einfach mitläuft.

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